"Wenn der Künstler
zeigt, wie mystisch alles ist, so ist das aussichtslos, es sagt
dem Publikum bloß, daß es im Trüben verharren
muß. Wenn der Künstler aber das Mystische so sinnlich
gestaltet, daß es vertraute Welt wird, so hat er erhoben:
durch das Gewöhnliche zum Unendlichen"
(E. Barlach 1906)
Ähnlich wie zu Beginn
des 20. Jahrhunderts liegen auch die Bedürfnisse unserer
Generation in der durch Wissenschaft und Konsum nicht zu befriedigenden
Sinnsuche des Menschen.
Es ist heute vielleicht gerade die Vieldeutigkeit und offene
Bereitschaft zu übersinnlichen und mystischen Aussagen,
die das Werk Ernst Barlachs so aktuell erscheinen lassen.
Die Ausstellung "Mystiker
der Moderne" zeigt plastische und grafische Werke Barlachs
in drei thematischen Gruppen:
- magisch - volkstümlich
Auf seiner Russlandreise 1906,
abseits des westlichen Kulturbetriebes, entdeckt Barlach für
sich das Metaphysische und Geheimnisvolle im Alltäglichen.
Die reale gesellschaftliche Gegenwart ist dabei nur Ausgangspunkt,
vorübergehender Zustand einer größeren, existentiellen
Dimension. Die Figuren sind frei von individuellem Ausdruck und
historisch sozialen Referenzen. Das Alltägliche wird exemplarisch
reduziert auf die eigentlich unscheinbare, allgemeingültig
menschliche Geste. Bettler werden zu Ikonen, Wanderer zu Propheten
und Träumer zu Visionären.
Zu den typischen Beispielen zählen Liegender Bauer (1908),
Kapitän Kornelius (1913), Singender Mann (1928) und Flötenbläser
(1936).
- kosmologisch - mythisch
Die zweite Gruppe umfasst Werke, die im Geistigen, im Spirituellen
liegenden Leitmotiven folgen. Barlach greift dabei auf den geheimnisvollen
Kosmos mythischer, archaischer und kultischer Vorbilder zurück.
Er erkennt ekstatische Bewusstseinszustände in Figuren aus
den Themenkreisen beispielsweise der Nibelungensage oder der
Edda. Barlach sucht hier Weltdeutung in einer über die menschliche
Existenz hinausweisenden, nicht rationalen, metaphysischen Sphäre.
Als Werke dieser Gruppe wären beispielhaft Sterndeuter
(1909), Geistkämpfer (1928), Bettler (1930) und Flamme (1934)
zu nennen.
- religiös - spirituell
inspirierte Arbeiten
Barlach ist durchaus als moderner
Gottsucher zu verstehen. Er ist profunder Kenner der Schriften
deutscher Mystiker, wie Meister Eckhart und Jakob Böhme.
Trotz der seit 1918 auffällig häufigen Verwendung christlicher
Motive geht Barlach über die rein christliche Gotteserfahrung
hinaus. Seine Vorstellung vom "Allmächtigen" vermittelt
sich nicht im triumphierenden und segenspendenden Christus, sondern
in der verletzlichen, suchend-empfindsamen Geste des Menschen.
Werke wie Kruzifix (1918), Lehrender Christus (1931), und
Pietà (1932) repräsentieren unter anderem diesen
Themenkomplex.
Im Zentrum der Ausstellung
stehen der überlebensgroße Bettler aus der Gemeinschaft
der Heiligen und der schwebende Güstrower Engel: Sie symbolisieren
den Dialog zwischen den gesellschaftlich realen Existenzbedingungen
der Menschheit und einer transzendenten Struktur, die aus der
realen Welt in einen übergeordneten kosmologischen Raum
greift, Hoffnung, Rat und Orientierung sucht.